04.03.2012: Antigua - Santa Ines Prozession

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Einen Vorgeschmack, was zu Ostern hier in Antigua los ist, bekamen wir am Sonntag vor unserer Abreise. An jedem Wochenende innerhalb der 6-wöchigen Fastenzeit vor Ostern finden hier in und rund um Antigua schon Prozessionen statt.

Diese Tradition wurde, so heißt es jedenfalls, 1524 in Guatemala gegründet. Start und Endpunkt der Prozession ist jeweils eine bestimmte Kirche. Zwei hölzerne Schiffe verlassen die Kirche und werden dann von Tausenden von Gläubigern durch die Straßen getragen. Das erste Schiff mit einer hölzernen Jesusfigur wird von Männern getragen, gefolgt vom Frauenschiff, dass Maria darstellt. Dazu später mehr.

Wir machten uns morgens um 9 Uhr mit Swantje, Agnes und Helmut auf den Weg nach Santa Ines. Dieses Dorf liegt ca. 3km außerhalb von Antigua und war gut zu Fuß zu erreichen.

Der Start der 10-stündigen Prozession war für 13 Uhr angesagt, dennoch machten wir uns viel früher auf den Weg, um den Bau der tollen Straßenteppiche zu beobachten. Agnes und Swantje begannen den Tag feucht und fröhlich mit einer Piña Colada.


Piña Colada, Steaks und andere Köstlichkeiten.

Die Straßenteppiche - man nennt sie hier Alfombras - ebnen den Weg für die Prozessionsschiffe. Sie werden i.d.R. von ganzen Familien (zum Teil auch mit Hilfe von Freunden) direkt vorm Haus gebaut. Jede Familie gibt dabei so viel Geld aus, wie sie es sich leisten kann (da kommen locker mehrere Hundert $ oder Euro zustande!). Als Materialien werden eingefärbte Holz- und Sägespäne, Blumen, Obst und Gemüse, Spielzeug, Piniennadeln, Selbstgebasteltes usw. verwendet. Jeder Teppich sieht anders aus. Es gibt keinen Wettbewerb und der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.

Auf den unebenen Kopfsteinpflasterstraßen von Antigua muss zunächst einmal ein Fundament gebaut werden. Für die aufwendigeren Teppiche wird hier Sägemehl verwendet. Einfacher geht das mit Piniennadeln. In der Regel ist ein Familienmitglied für das Design des Teppichs verantwortlich. Da viele Familien während der Fastenwochen und der Osterwoche mehrere Teppiche bauen, kommt da jeder in der Familie mal dran. Mit Sieben werden die größeren einfarbigen Flächen bestäubt. Schablonen aus Holz oder Pappe sorgen für die Muster. Mit der Hand oder Teelöffeln werden diese Schablonen gefüllt und dann ganz vorsichtig angehoben, damit ja das Muster nicht zerstört wird. Das nimmt man hier sehr ernst und sehr genau. Man ist stolz auf sein Werk! Damit der Wind die Sägespäne nicht verweht, muss der Teppich ständig mit Wasser feucht gehalten werden. Die einen verwenden einen stink normalen Wasserschlauch mit Sprühaufsatz, andere einen Pumpkanister, wie man ihn aus der Schädlingsbekämpfung kennt, viele machen es sich aber auch ganz einfach und bohren ein paar Löcher in eine Colaflasche.

Je nach Start der Prozession und der jeweiligen Entfernung des Hauses zum Prozessionsstart wird Stunden vorher mit dem Bau begonnen. Manche fangen auch schon den Abend vorher an oder in den frühen Morgenstunden. Hier unser Video zum Bau der Teppiche:


Stundenlanger Bau der Straßenteppiche.

Keine Frage, wir waren begeistert von diesen handgemachten Straßenteppichen. Dann begann das Warten bis zum eigentlichen Start der Prozession. Agnes, Swantje und Helen wurde das ein wenig zu lang und sie gingen vorzeitig nach Hause. Helmut und Kirsten harrten aus. Das war nicht wirklich schwer, denn je näher der Prozessionsstart kam, desto mehr füllten sich die Straßen und der Platz vor der Santa Ines Kirche. Fotomotive gab es zu Hauf! Insbesondere die Kinder hatten es Kirsten angetan. Früh übt sich! Selbst 2-Monate alte Babies hatten schon die Lilafarbenen Kutten an. Lila ist die Farbe der Fastenzeit und symbolisiert das Leiden Jesus.

Was uns in Guatemala immer wieder überrascht hat, ist, dass die Frauen hier ganz offen auf der Straße ihre Kinder stillen. Ähnlich wie in Mexiko zeigen hier ansonsten nur wenige Frauen viel Fleisch. Schließlich ist auch Guatemala überwiegend Katholisch! Wir haben sogar eine Frau auf der offenen Ladefläche eines Pickups gesehen, die während der Fahrt durch Antigua ihr Kind stillte. Aber warum nicht? Ist doch eigentlich ganz natürlich!

Dennoch sieht man gerade bei diesen Prozessionen, wie gläubig die Menschen hier sind. Direkt vorm Prozessionsstart ruft der Pfarrer der jeweiligen Kirche zum Gebet auf. Viele Leute knien sich hin - einigen kommen sogar die Tränen. Man ist ergriffen!

Die beiden geschmückten Prozessionsschiffe sind in der Kirche aufgebahrt. Das Männerschiff verlässt pünktlich um 13 Uhr mit lauter Musik die Kirche - der Weihrauch nebelt alles ein und brennt wie Hölle in den Augen. Kirsten stand in der ersten Reihe direkt vorm Kirchenportal und wurde kräftig eingenebelt. Hust, Hust! Männer und Jungs verbrennen den Weihrauch (ein natürliches Baumharz) in silbernen Weihrauchgefäßen und schwingen sie dabei durch die Luft. Man muss aufpassen, dass man nicht von einem der glühenden - manchmal auch brennenden - Gefäße erwischt wird.

Die aus Holz gefertigten Prozessionsschiffe - man nennt sie hier Andas - können bis zu 4 Tonnen wiegen und von bis zu 100 Männern getragen werden! Das ist eine Tonne mehr, als Winnie wiegt! Die Frauenschiffe sind etwas kleiner und wiegen deutlich weniger (bis zu 1,5 Tonnen). Das liegt u.a. daran, weil es zu jeder Prozession wesentlich weniger Frauen als Männer gibt. Uns ist aufgefallen, dass entweder sehr junge Mädels oder ältere Damen die Frauenschiffe tragen. Mütter mit Kindern bleiben entweder zu Hause oder beobachten das Geschehen am Straßenrand. Die Väter hingegen nehmen an der Prozession teil. Eine typisch traditionelle Rollenverteilung hier!

Jede Kirche hat ihre eigenen Prozessionsschiffe. Die Jesus und Maria Figuren sind immer die gleichen. Einige sind antik, andere neu gebaut. Ändern tut sich jedoch je nach Prozessionstag und -geschehen der Aufbau des Schiffes.

Die Träger wechseln in der Regel nach jedem Straßenblock. Da bei den Männern i.d.R. 5000 zur Verfügung stehen, müssen manche nur einmal pro Prozession das Schiff tragen. Dennoch sind sie den ganzen Tag dabei und laufen in langen Schlangen am Straßenrand vorweg. Die Frauen müssen häufiger ran. Bei der Santa Ines Prozession waren es nur wenige Hunderte. Manche von ihnen laufen sogar besonders demütigend mit gebeugten Knien. Jeder Träger zahlt 50-70 Quetzales (7-9 US$) für die Ehre an der Prozession teil zu nehmen. Das Geld bezahlt nicht nur die Dekoration der Prozessionsschiffe, sondern auch die Musiker. Hinter jedem Schiff laufen 20-40 Musiker und spielen die traditionellen Trauermärsche. Da sie nicht an jedem Straßenblock wie die Träger wechseln können, sondern häufig über Stunden die Prozession begleiten, werden Profimusiker verwendet. Andere Freiwillige halten mit langen Stangen die Strommasten hoch, damit Jesus und Maria nicht daran hängen bleiben und verkohlt weiter getragen werden müssen. :-)

Hier ein kleiner Zusammenschnitt der Santa Ines Prozession:


Santa Ines Prozession.

Das war wirklich beeindruckend! Aber irgendwie tat es einem schon Leid, dass die Stundenlange Arbeit an den fantastischen Teppichen in wenigen Minuten einfach komplett zerstört werden kann! Schnief!

Hier noch ein Wort zur Warnung! Wie überall, wo es zu großem Menschenaufläufen kommt, gibt es auch Taschendiebe. Am Wochenende reisen richtige Profis aus Guatemala Stadt nach Antigua und nutzen das Gedrängel bei der Prozession. Helmut kann davon leider ein Lied singen. Ihm wurde unbemerkt das Portemonnaie geklaut. Also, Wertsachen zu Hause lassen und nur so wenig Geld wie nötig mit sich rumschleppen. Wir waren durch Helmut gewarnt und hatten immer Shorts mit besonders vielen Reißverschlusstaschen an und das T-Shirt drüber. Da muss ein Dieb schon sehr geschickte Finger haben!

Trotz dieser ärgerlichen Sache, bleibt uns Antigua in bester Erinnerung. Die Stadt ist fröhlich, aufgeschlossen, interessant und wirklich eine Reise wert! Hier zum Abschluss noch ein Video mit Straßentheater:


Straßentheater zum Totlachen